Korbinian Aigner

Aigner, Korbinian(geb. 1885 in Hohenpolding / gest. 1966 in Freising)

… und Georg Elser

Ein bayerischer Dorfpfarrer zwischen Obstbau und Hochverrat …

… ist der Titel eines Films über Korbinian Aigner. Im Begleittext zu der DVD heißt es u. a.:

“Im Oktober fällt der Korbiniansapfel reif vom Baum, er duftet würzig, gelbrot geflammt leuchtet seine Schale, und wenn man hineinbeisst, knackt sein Fruchtfleisch fest und saftig. Ein ganz normaler, guter Tafelapfel? Zum Korbiniansapfel gehört eine besondere Geschichte, die Geschichte eines Pfarrers, der die Äpfel liebte – und für diese Liebe sogar sein Leben gegeben hätte.

[…]

Aigner ist ein Konservativer im besten Sinne des Wortes: Bewahren und pflegen sind für ihn nicht Floskeln, die er von der Kanzel predigt, sie sind sein Lebensprinzip. Als er 1923 erstmalig bei einer Versammlung der Nationalsozialisten Adolf Hitler reden hörte, erschrak er zutiefst über den paranoiden Hass, den Hitler auf Juden, Kommunisten und katholische Geistliche zum Ausdruck brachte und erkannte sofort die Gefahr, die dieser Mann für die politische Zukunft bedeutete. Seine Person und seine Passion für Äpfel dienen in diesem Film als Schnittpunkt für ein kultur- und zeitgeschichtliches Panorama, das weitgehend in Vergessenheit geraten ist.

[…]

Durch das Attentat Georg Elsers im Münchner Bürgerbräu-Keller im November 1939, das Aigner im Religionsunterricht kommentiert, beginnt eine denkwürdige Verflechtung zweier Männer, die sich mit dem nationalsozialistischen Terror nicht abfinden wollte.”

In dem wunderbaren Film von Bernt Engelmann und Gisela Wunderlich ist die Lebensgeschichte Korbinians Aigners ausführlich dargestellt. Der Film (43 Min.) ist als DVD erhältlich und kann über  http://www.tascafilmsmunich.de/dokumentationen.php?we_objectID=10&tw=350&bw=150 bezogen werden.

Absolut empfehlenswert.

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… und die dOCUMENTA (13)

Abschrift aus dem Katalog der dOCUMENTA (13):

Die zunächst als KZ-3 bekannte und später in Korbiniansapfel umbenannte Obstsorte züchtete Korbinian Aigner, genannt der “Apfelpfarrer”, während seiner Inhaftierung im Konzentrationslager Dachau. Aigner, ein bayerischer Dorfpfarrer, wurde mit Geldstrafen belegt, gefangen genommen und schließlich ins KZ verschleppt, weil er in den 1930er Jahren offen den Nationalsozialismus kritisiert hatte. Er griff die Nazis in seinen Predigten an, weigerte sich, Kinder auf den Namen Adolf zu taufen, und erkannte die Hakenkreuzfahne nicht als Nationalflagge an. In Dachau und Sachsenhausen musste er Zwangsarbeit in der Landwirtschaft leisten; er legte einen Garten mit Heilkräutern an.

Ausgerechnet im Konzentrationslager gelang es Aigner, neues Leben in Form von vier neuen Apfelsorten zu schaffen. In jedem Jahr seiner Gefangenschaft entwickelte er jeweils eine Sorte, die er heimlich KZ-1, KZ-2, KZ-3 und KZ 4 taufte. Heute wird nur noch die Sorte KZ-3 angebaut. Seit den 1980er Jahren (Ergänzung des Admininstrators: seit 1985) ist sie unter dem Namen Korbiniansapfel bekannt, bis dahin trug sie ihren ersten, lakonischen und wenig heldenhaften Namen. Wenn Aigners Züchtung neuer Apfelsorten ein poetischer Akt des Widerstands im Angesicht des Völkermordes war, so bringen die Namen, die er ihnen gab, zum Ausdruck, dass keine Manifestation des Lebens von der Pervertierung des aufgeklärten Denkens im Faschismus unberührt exisitieren konnte. In diesem Licht betrachtet, bilden Aigners KZ-Äpfel ein bewegendes Symbol für den Holocaust als den Sündenfall der Moderne.

Aigner war auch Künstler; sein Werk ähnelt dem eines Konzeptkünstlers, der unbeirrbar über Jahrzehnte demselben ästhetischen Dogma folgt. Überfünfzig Jahre, von den früheren 1910ern bis in die 1960er Jahre, schuf er etwa 900 Zeichnungen im Postkartenformat, die verschiedene Äpfel und Birnen einzeln oder in Paaren zeigen. Zusätzlich zur Präsentation dieser Zeichnungen auf der dOCUMENTA (13) ist ein Korbiniansapfelbaum in der Karlsaue gepflanzt worden – ein informelles (Gegen-)Denkmal, das dem in Dachau entspricht:

“Auf einem kleinen Platz, der von Bürogebäuden und den Geschäftsräumen eines Autohändlers umgeben ist, gleich neben dem Museum der Dachauer Gedenkstätte, hat jemand auf einer Grünfläche […] im zu Ehren einen zierlichen Apfelbaum gepflanzt; eine kleine Plakette erzählt seine Geschichte an der Stelle, wo einmal der Dachauer Kräutergarten war mit all den Schmerzen, die sich mit ihm verbanden, wo einmal der Salbei und der Rosmarin und die Petersilie und die Apfelbäume und die Heilkräuter wuchsen und den Menschen zusahen und sich stumm vor ihnen entsetzten.” (Carolyn Christov-Bakargiev).